Text: Aline Müller            Foto: www.slawik.com

Wenn ein gut und korrekt bemuskeltes Dressurpferd schwungvoll durch das Viereck trabt, zieht es staunende Blicke auf sich. Ebenso imposant ist die Energie eines Spring- oder Westernpferdes und das Tempo eines Galoppers. Bei allen Disziplinen gilt: Ohne Muckis geht es nicht. Allein zum Tragen des Reiters braucht das Pferd Kraft, die durch entsprechendes Training aufgebaut werden muss. Dabei spielen Muskelketten eine entscheidende Rolle. „Muskeln arbeiten nie isoliert, sondern immer synergistisch in Muskelketten, um eine bestmögliche Wirkung zu erzielen“, schreiben Barbara Welter-Böller und Maximilian Welter in ihrem Buch „Gutes Training schützt das Pferd“ und geben ein Beispiel: „Wenn Sie sich auf die Zehenspitzen stellen, werden Sie die Muskelanspannung nicht nur in der Fußsohle, sondern bis zu Ihrem Gesäßmuskel spüren.“ Beim Pferd gibt es zum einen die Streckerkette, die sogenannte dorsale Kette oder Oberlinie. Das sind alle Muskeln, die vom Kopf an die gesamte Wirbelsäule strecken. Zum anderen die Beugerkette, die sogenannte ventrale Kette oder Unterlinie. Alle diese Muskeln krümmen oder beugen die Wirbelsäule, am Kopf beginnend. Gibt es jedoch Schwachstellen in den Muskelfunktionsketten, dann laufen sozusagen koordinative Notfallprogramme im Organismus ab, und einzelne Glieder der Kette werden überlastet. Was mit Muskelverkrampfungen beginnt, kann auf Dauer fatale Folgen für das Pferd haben.

Fitnessstudio fürs Pferd

Mit dem Bild der einzelnen Muskelketten vor Augen wird deutlich, wie wichtig es ist, nicht nur auf die Stärken des Pferdes zu setzen, sondern auch mögliche Schwächen zu erkennen und auszugleichen. Fragt man Reiter nach den Problemzonen des Pferdes, dann stehen Hals, Rücken, Bauch und Hinterhand ganz oben auf der Liste. Während Sportler im Fitnessstudio an Geräten ihre Kraft verbessern und Muskulatur aufbauen können, ist es Aufgabe des Reiters, das Pferd zu stärken. Dazu ist neben dem Verständnis der Anatomie und Biomechanik auch ein Trainingskonzept wichtig. Neue Mitglieder bekommen im Fitnessstudio eine Einweisung und einen Trainingsplan. Nach einer gewissen Zeit werden die Übungen entsprechend angepasst, um gesetzte Ziele zu erreichen. Dabei wird zudem darauf geachtet, dass einzelne Muskelgruppen nicht überbeansprucht werden. Kein Gewichtheber würde jeden Tag nur den Bizeps trainieren. Bevor Sie mit dem Krafttraining des Pferdes beginnen, sollten Sie die Hinweise unsere Experten beachten, dass eine gewisse Grundlagenausdauer vorhanden sein muss. „Die Herzfrequenz des Pferdes muss nach einer fünfminütigen Pause unter 50 Prozent der errechneten Maximalfrequenz fallen. Der Grund: „Die Muskelkraft wächst ansonsten schneller als das übrige Stützgewebe, die Faszien, zu denen auch die Sehnen gehören. Ein starker Muskel mit einer schwachen Sehne kann zu Sehnenproblemen führen.“

Maximal und schnell

Beim Krafttraining wird zwischen den Kraftqualitäten Maximal- und Schnellkraft sowie der Kraftausdauer unterschieden. „Die Maximalkraft ist die größtmögliche Kraft, die das Pferd gegen einen Widerstand willkürlich aufwenden kann“, ­beschreiben Barbara Welter-Böller und Maximilian Welter und fügen hinzu: „Sie ist schwer zu trainieren. Selbst bei den Zugleistungsprüfungen der Kaltblüter werden nur 20 ­Prozent ihres Körpergewichts als zu ­ziehendes Gewicht erwartet. Sonst würde man den Pferden körperlich und psychisch schaden.“ Unter Schnellkraft hingegen versteht man die Fähigkeit, einen möglichst großen Impuls in einer kurzen Zeit zu entfalten. „Das Pferd soll also sein Körpergewicht, und auch das des Reiters, durch einen hohen Impuls beschleunigen. Das geschieht beispielsweise beim Springen, im Renngalopp, bei den fliegenden Galoppwechseln, in der Working Equitation oder beim Cutting“, so die Experten. Zu den Unterformen der Schnellkraft gehören die Startkraft, die Rennpferde entwickeln müssen, und die Reaktivkraft. Bei letzterer ist ein schneller Wechsel zwischen exzentrischer und konzentrischer Muskelaktion typisch. Solch ein Zyklus von Dehnung und Verkürzung entsteht zum Beispiel in einer Springreihe, bei der Cavaletti-Arbeit im Galopp oder im Sprunggalopp des Rennpferdes. ­Barbara Welter-Böller und Maximilian Welter betonen, dass das Training der Schnellkraft nur mit orthopädisch gesunden Pferden in nicht verbrauchender Haltung trainiert werden sollte, da der High Speed sonst zu Gelenkverletzungen führe. Das Pferd könne in diesen Tempi nämlich nicht mehr kompensieren.

…außerdem werden verschiedene Problemzonen des Pferdes genauer unter die Lupe genommen. Sie finden den Artikel in der Mein Pferd-Ausgabe 8/18.

 

BUCHTIPP

Das Buch „Fitnessstudio für mein Pferd“ von Katrin Obst beschäftigt sich mit Faszientraining, Muskelaufbau, Balance und Koordination – mit diesem umfassenden und abwechslungsreichen Physioprogramm für Pferde gelingt es, Verspannungen, Rückenleiden und anderen Beschwerden gezielt vorzubeugen. Das Ganzkörpertraining der erfahrenen Pferde-Physiotherapeutin Katrin Obst stärkt die Tiefenmuskulatur, verbessert die Beweglichkeit und hilft, Blockaden und Muskelprobleme zu vermeiden. Alle Übungen und Parcours werden detailliert beschrieben, sodass das Training auch ohne professionelle Assistenz durchgeführt werden kann. Das Buch ist im Kosmos-Verlag erschienen und hier für 16,99 Euro erhältlich.