Text: Nicole Audrit   Foto: Aneta Vysehradova

Spätestens seit dem Erscheinen des ersten „Ostwind“-Films im Jahr 2013 ist das Reiten ohne Zaumzeug und nur mit Halsring in aller Munde. Manche empfinden das Reiten mit dem Halsring als die einzig richtige Variante, da dem Pferd dabei ein großes Maß an Freiheit geboten wird und es zu nichts gezwungen werden kann. Andere sehen verschiedene Sicherheitsrisiken, sowohl für den Reiter aufgrund mangelnder Kontrolle als auch für das Pferd durch fehlende Gymnastizierung. Wie so oft ist ein Mittelweg der Richtige: Das Halsringreiten kann als Abwechslung für Pferd und Mensch im Training eingesetzt werden und bereitet dabei viel Freude. Allerdings sollte es nicht als generelle Reitform angewendet werden. Außerdem ist die richtige Durchführung entscheidend: Nur weil das Zaumzeug – und gegebenenfalls auch der Sattel – fehlen, bedeutet dies nicht, dass das Pferd mit weggedrücktem Rücken, herausgehobenem Kopf und auf der Vorhand laufen sollte. In dieser Form würde das Halsringreiten langfristig mehr Schaden als Nutzen mit sich bringen. Die französische Dressurreiterin Alizée Froment beweist allerdings, welch großartige Leistungen mit lediglich einem Halsring als Zäumung möglich sind: Sie reitet anspruchsvolle Grand-Prix-Küren mit aufwendigen Lektionen wie Einergaloppwechsel oder Piaffen mit nahezu unsichtbaren Hilfen. Es scheint, als würde sie ihr Pferd nur mit Gedankenkraft dazu bringen, schwere Lektionen auszuführen. Eine Grand-Prix-Kür von Alizée Froment mit ihrem Hengst Sultan erscheint wie ein vertrauensvoller Tanz.

Balance wird vorausgesetzt

Beim Reiten mit Halsring wird auf jede Form der Zäumung verzichtet, sowohl auf die klassische Trense mit Gebiss als auch auf verschiedene gebisslose Varianten wie das Hackamore, Sidepull oder den LG-Zaum. Ohne einen Zaum fallen allerdings die Zügelhilfen weg, die auch nicht durch den Halsring ersetzt werden können. Dessen Einwirkungsmöglichkeiten sind stark begrenzt, daher ist er vielmehr als Hilfsmittel und Unterstützung der Gewichts- und Schenkelhilfen zu betrachten.

Generell können Reiter aller Sparten ihr Pferd auch am Halsring reiten: Es kommt nicht so sehr auf die Art der Ausbildung an – ob Englisch oder Western –, sondern vielmehr auf das Können von Zwei- und Vierbeiner. „Ein ausbalancierter Sitz des Reiters sowie das sichere Beherrschen aller drei Gangarten sind die Voraussetzungen, um sich an das Abenteuer Halsringreiten zu geben“, so Nathalie Penquitt, Tierärztin und Ausbilderin. „Das Pferd sollte ebenfalls eine gewisse Grundausbildung mitbringen und im Schritt, Trab und Galopp sicher an den Hilfen stehen.“ Sind diese Grundvoraussetzungen nicht gegeben, kann das Reiten mit Halsring mitunter gefährlich, zumindest jedoch frustrierend enden. „Um beim Reiten am Halsring klare und präzise Hilfen geben zu können, muss der Reiter neben einem unabhängigen Sitz auch ein hohes Maß an Körperkontrolle mitbringen“, erklärt Alizée Froment.

Auch wenn Pferd und Reiter über einen großen Erfahrungsschatz verfügen, ist das Halsringreiten nicht für jedes Paar das Richtige. Neigt ein Pferd zum Durchgehen oder einer anderen Unart, sollte aufgrund eingeschränkter Einwirkungsmöglichkeiten zur eigenen Sicherheit auf das Reiten mit Halsring verzichtet und zunächst an den bestehenden Problemen gearbeitet werden. Als Vorbereitung eignet sich generell das Reiten am langen Zügel und mit minimalen Zügelhilfen. Wichtig ist hierbei, dass das Pferd nicht davoneilt und sich durch Gewichtshilfen und Stimm­kommandos in den verschiedenen Gang­arten kontrollieren lässt.

Eine wichtige Voraussetzung ist außerdem das gegenseitige Vertrauen und der Respekt, so Alizée Froment: „Respektieren Sie Ihr Pferd und stellen Sie sicher, dass es Sie auch respektiert. Nur so können Sie es auch in einer beängstigenden Situation unter Kontrolle halten. Beim Halsringreiten muss der Reiter in der Lage sein, mit einem Stimmkommando anzuhalten, falls es die Situation erfordert.“

Generell sollten die ersten Versuche mit Halsring auf einem sicher umzäunten Reitplatz, in der Halle oder in einem Roundpen stattfinden. Außerdem ist es empfehlenswert, dass bei den ersten Versuchen zusätzlich zum Halsring eine Trense oder ein gebissloser Zaum verwendet wird. Dies ist zum einen eine Sicherheitsmaßnahme für brenzlige Situationen und dient zum anderen der Korrektur im Falle eines Missverständnisses zwischen Mensch und Pferd. Damit die Zügel nicht vom Hals rutschen, können sie über dem Hals leicht verknotet werden. Sobald Wendungen und Bahnfiguren sowie die einzelnen Gangarten und auch die Übergänge gut funktionieren – ohne die Zuhilfenahme der Zügel –, kann der erste Versuch ohne die Trense als Sicherheitsmaßnahme unternommen werden. Meist wird beim Halsringreiten mit Druck und dem Wegnehmen von Druck gearbeitet. Dies ist eine Form der negativen Verstärkung, da man etwas wegnimmt und damit das gezeigte Verhalten verstärkt. Die negative Verstärkung wird in vielen Bereichen, unter anderem beim Reiten, verwendet. „Ich arbeite allerdings gerne mit positiver Verstärkung: Dabei wird etwas Positives hinzugefügt, meist in Form von Futter, das durch ein zuvor konditioniertes Lobwort oder Geräusch (wie dem Click) angekündigt wird. Dadurch wird man im Timing sehr genau und kann das richtige Verhalten gezielt trainieren“, erläutert Nathalie Penquitt.

… den kompletten Artikel sowie Tipps zur Umsetzung finden Sie in der Juli-Ausgabe.

Unsere Expertinnen:

Dr. med. vet. Nathalie Penquitt gründete 1998 die „Pferdeschule“ und bietet auf ihrem Hof in der Nähe von Bremen Kurse wie Zirkuslektionen, Halsringreiten, Bodenarbeit und vieles mehr an. Sie ist Tierärztin und Expertin auf dem Gebiet der Pferdeausbildung sowie Autorin verschiedener Fachbücher. www.penquitt-pferdeschule.de

Alizée Froment hat zahlreiche Siege und Platzierungen in internationalen Grand-Prix-Prüfungen erreicht. Die 1987 geborene Französin ist besonders durch ihre Grand-Prix-Auftritte mit lediglich einem Halsring bekannt. Sie legt besonders viel Wert auf feines Reiten und einen fairen Umgang mit dem Pferd.