Text: Aline Müller           Foto: www.Slawik.com

Manchen Reitern kann das Streben nach Perfektion zu Höchstleistungen verhelfen, andere scheitern regelrecht an dem Druck und den (eigenen) Erwartungen. Dabei gibt es unterschiedliche Formen von Perfektionismus. So schaffen Sie es, Hindernisse zu meistern, ohne daran zu verzweifeln

Man kann sein Leben damit verbringen, die perfekte Rosenblüte zu suchen. Und obwohl man sie nicht finden wird, wäre es ein gutes Leben.“ So lautet ein japanisches Sprichwort. Dieser Gedanke lässt sich auch auf das Reiten übertragen: Wir streben nach einer gewissen Perfektion beim Reiten und erleben Momente, in denen wir das Gefühl haben, eine Einheit mit unserem Pferd zu sein. Momente, in denen alles gelingt. Wir sind zufrieden und spüren ein starkes, oft anhaltendes Glücksgefühl, das uns regelrecht beflügeln kann. Trotzdem sind wir nicht immer perfekt – weder wir Menschen noch unsere Vierbeiner. Dennoch kann der Weg mit unserem Partner Pferd wundervoll und besonders sein. Allerdings sind wir ständig mit Erwartungen (den eigenen und denen anderer Menschen) sowie mit dem Thema Perfektionismus konfrontiert, was zu einer echten Belastung werden kann.

Plötzlich Perfektionistin

Das kennt auch Joy. Die 26-jährige Studentin ist vor elf Monaten nach Schleswig-Holstein gezogen und hat einen neuen Stall für ihre beiden Stuten Baccia und Delara gesucht. „Ich bin auf der einen Seite ehrgeizig, trainiere regelmäßig und reite gerne Turniere, auf der anderen Seite lasse ich mir für die Ausbildung Zeit und hatte früher nie das Gefühl, schnell etwas erreichen zu müssen. Das hat sich im neuen Stall leider geändert.“ Klar, wer neu dazu kommt, der wird häufig genauestens unter die Lupe genommen. Hier und da stehen Leute an der Bande, stellen Fragen oder geben einfach ungefragt Kommentare ab. „Im alten Stall habe ich nichts darum gegeben. Ich war in einer eingeschworenen Stallgemeinschaft, und jeder wusste, wie ich reite. Aber auf einmal habe ich höhere Erwartungen an mich selbst gestellt. Ich wollte mir und den anderen etwas beweisen und habe mich da richtig reingesteigert.“ Im Training wird Joy immer ernster und setzt sich straffe Ziele. Sie versucht, möglichst fehlerfrei und perfekt nach außen hin zu wirken. Während Baccia dressurmäßig schon bis zur Klasse L ausgebildet ist, muss Delara mit ihren vier Jahren noch Erfahrungen sammeln. Hinzu kommt, dass die junge Stute eher der schreckhafte und unsichere Typ ist. Sie braucht Zeit, um sich an neue Situationen zu gewöhnen und Veränderungen wie z. B. ein Stallwechsel machen ihr sehr zu schaffen. „Delara war in der neuen Reithalle sehr nervös, und von Losgelassenheit war keine Rede mehr. Was ich im alten Stall gelassen hinnehmen konnte, hat mich auf einmal richtig verzweifeln lassen.“

Dazulernen und wachsen

Frust, Schmerz und Verzweiflung können eine Seite des Perfektionismus sein. Wer ständig hohe Erwartungen an sich selbst sowie an sein Pferd stellt und alles am besten sofort erreichen möchte, der kann an diesen Ansprüchen schnell scheitern. Wenn der Vierbeiner dann nicht so läuft wie gewünscht, kommt die Enttäuschung und vielleicht sogar ein Gefühl von Scham oder Wut auf. Doch es gibt auch noch die andere Seite des Perfektionismus, der wie ein zweischneidiges Schwert ist. Schließlich kann er auch zu Höchstleistungen antreiben oder Mensch und Pferd dazu verhelfen, erfolgreich zu reiten. Wer unter Perfektionismus versteht, sich ständig um Selbstverbesserung zu bemühen, wer danach strebt, mit feinen Hilfen zu reiten, und alles gibt, um seinem Vierbeiner die Chance zu geben, unter dem Sattel zu wachsen und zu strahlen, der ist aufmerksam, aber nicht restriktiv. Der ist bereit dazuzulernen, das Verständnis für das Pferd zu vertiefen, fair zu bleiben und die Reaktionen des Vierbeiners auf das eigene Handeln genau zu beobachten.

Den kompletten Artikel finden Sie in der neuen Mein Pferd- Ausgabe.