Text: Kerstin Niemann         Foto: Carolin Diederich

Es ist mittlerweile ein gängiges Bild in vielen Dressurprüfungen: der zu weit zurückgelehnte Oberkörper. „Liege-Schiebesitz“ wird er treffenderweise genannt. Er hat massive Auswirkungen auf die Gesundheit von Pferd und Reiter. Was im Körper abläuft und wie man wieder lernt, im Lot zu sitzen, haben Experten für Sie zusammengefasst

Zugegeben, so viele Turniere gab es im zurückliegenden Jahr 2020 nicht. Dennoch: Dort, wo Wettkämpfe auf dem Dressurviereck ausgetragen wurden, begleitete einen immer wieder der Anblick von Reitern, deren Oberkörper nicht nur tendenziell, sondern ausgeprägt hinter die Senkrechte geriet. Vom sogenannten Liege-Schiebesitz sprechen Reiter, Richter und Ausbilder, wenn ihnen dieses Phänomen begegnet. „Aus meiner Erfahrung hat sich dieser Begriff in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren entwickelt“, sagt die Buchautorin, Sportwissenschaftlerin und Ausbilderin Dr. Britta Schöffmann. Die Rheinländerin hat eine These, wie es zu dieser Entwicklung kommen konnte: „Besonders im FEI-Ponysport, ob auf nationaler oder internationaler Ebene, sehe ich vermehrt Dressur reitende Kinder, die mit einem weit zurückgelehnten Oberkörper versuchen, sich auf ihren ganggewaltigen und sich oft im Beritt von Erwachsenen befindlichen Ponys im Gleichgewicht zu halten. Nicht nur auf Turnierplätzen, auch bei Lehrgängen habe ich mehr und mehr damit zu tun, den Reiterinnen und Reitern wieder ein korrekteres Sitzbild zu vermitteln.“

Unstimmige Größenverhältnisse

Claudia Rating, die oft im norddeutschen Raum am Richtertisch von Dressurprüfungen sitzt, bestätigt diese Einschätzung und bringt auf der Suche nach Ursachen weitere Aspekte in die Diskussion: „Mein Eindruck als Richterin ist, dass diese Form des Sitzes vielfach bei jugendlichen Reitern zu finden ist. Ich sehe oft Größenverhältnisse, die nicht stimmig sind – zu große Kinder auf zu kleinen Ponys. Darüber hinaus spielt die Pferde-Entwicklung eine maßgebliche Rolle: Das überdimensionale Bewegungspotenzial mancher Pferde überfordert junge Reiter, sie müssen sich schlicht festhalten.“

Daneben sieht Rating aber noch weitere Gründe, vor allem in der Form der Sättel: „Früher wurde in weitaus flacheren Sätteln geritten, heute haben viele Dressursättel ausgeprägte Pauschen und teils auch recht hochgezogene Hinterzwiesel. Diese Sattelform vermittelt dem Reiter zunächst ein sicheres Sitzgefühl, aber wir wissen, dass ein lockeres Mitschwingen aus der Mittelpositur und ein locker am Sattelblatt anliegendes Bein bei stark ausgeformten Pauschen und einem möglicherweise zu weit hinten liegenden Schwerpunkt des Sattels nicht möglich ist. Und je weniger die Körpermitte den Bewegungen des Rückens folgen kann, desto größer ist die Gefahr, dass der Reiter sich über einen weiter zurückliegenden Oberkörper auszubalancieren versucht.“

Der Reiter blockiert sich selbst

Gründe, den Liege-Schiebesitz einzunehmen, scheint es also reichlich zu geben – obwohl er sowohl beim Reiter als auch beim Pferd zu schwerwiegenden Problemen führen kann. Die Richtlinien für Reiten und Fahren formulieren eindeutig: „Ein tief im Pferd mitschwingender Dressursitz ist die beste Voraussetzung, um ein Pferd möglichst gut in die reiterlichen Hilfen einzuschließen … ein vom Ohr über Schulter und Hüftgelenk gefälltes Lot trifft auf das Fußgelenk …“. Und die „Bibel der Reiterei“ erteilt extremen Sitzfehlern eine klare Absage: „Extremvarianten von Sitzfehlern verdeutlichen deren Auswirkungen auf die Einwirkung des Reiters besonders gut.“ Die Richtlinien befassen sich in diesem Zusammenhang eher mit dem Stuhl- und Spaltsitz – die Wortschöpfung „Liege-Schiebe-Sitz“ hat es noch nicht in das Buch aller (Reit-)Bücher geschafft.

Den gesamten Artikel finden Sie in der aktuellen Mein Pferd- Ausgabe.