Text: Aline Müller     Foto: Holger Schupp

Bestimmte Begriffe sind in der Reiterwelt zwar in aller Munde, dennoch werden sie häufig falsch verstanden oder vermittelt. Ganz vorne dabei: die Anlehnung. Warum Anlehnung nicht nur auf den Kopf-Hals-Bereich des ­Pferdes begrenzt ist und welche ­Rolle dabei das ­Gleichgewicht spielt, erklärt Dressur­ausbilder Ronald Roelans.

Der Duden definiert Anlehnung als: „das Sichstützen“ oder „Halt“. Weiter heißt es: ­„Anlehnung an jemand Stärkeren, Größeren suchen oder finden“. So könnte man denken, das Pferd stütze sich also auf die Hand des Reiters und suche Halt. Anlehnung bekommt in diesem Fall das Image eines Kraftaktes, bei dem die Stärke des Reiters eine entscheidende ­Rolle spielt. Um diesen falschen Vorstellungen einen Riegel vorzuschieben, ist es wichtig, sich mit der Reitlehre auseinanderzusetzen. Die FN definiert Anlehnung als eine „stete, weich-federnde Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdemaul.“ Nimmt man nun die Begriffe „Kommunikation“ und „Kontakt“ hinzu, dann wird langsam klar, dass Anlehnung nicht mit einem konstanten Druck am Zügel verwechselt werden darf. „Eine korrekte Anlehnung kann nicht einfach durch Handeinwirkung erzwungen werden und ist nicht begrenzt auf den Kopf-Hals-Bereich des Pferdes“, betont der Dressurausbilder Ronald Roelans. „Kontakt entsteht, wenn das Pferd im Gleichgewicht ist, aktiv mit der Hinterhand untertritt, über den Rücken schwingt und an das Gebiss herantritt. Anlehnung ­erreite ich von hinten nach vorne.“ Die Energie und der Schwung der Hinterhand werden also über den Pferderücken und das Maul an den Reiter weitergegeben.

Reiten mit System

Anlehnung ist der dritte Punkt der Ausbildungsskala. Ihr voran gehen Takt und Losgelassenheit. Es folgen Schwung, Geraderichtung und Versammlung. Alle sechs Punkte beeinflussen sich gegenseitig und führen zu einer sich immer weiter entwickelnden Durchlässigkeit und einem immer sicher werdenden Gleichgewicht des Pferdes. Grundvoraussetzung für eine korrekte Anlehnung sind also Takt und Losgelassenheit. Doch auch die folgenden Punkte beeinflussen den Kontakt zum Pferdemaul. Ist das Pferd beispielsweise nicht geradegerichtet oder fehlt es an Schwung, dann spiegelt sich das in der Anlehnung wieder. Da die Skala nicht nur als Struktur für die Ausbildung des Pferdes dient, sondern auch einen Leitfaden für jede einzelne Trainingseinheit darstellt, ist eine Betrachtung der einzelnen Punkte für ein tieferes Verständnis der Anlehnung nötig. Die Basis jeder weiteren Ausbildung ist der Takt in allen drei Grundgangarten. Damit sich ein Pferd losgelassen unter dem Reiter bewegen und ihn tragen kann, muss sich die Muskulatur an- und abspannen können. Dabei arbeiten die einzelnen Muskeln in sogenannten Muskelfunktionsketten. Ein gleichmäßiges An- und Abspannen aller Muskeln ist jedoch nur möglich, wenn der Takt gesichert ist.

Den Grundstein legen

Über den geregelten Takt und die entsprechende Zusammenarbeit der Muskelfunktionsketten kann der Reiter das Pferd zu einer Dehnungsbereitschaft bringen. In diesem Moment ist es möglich, das Pferd von hinten nach vorne an das Gebiss heranzutreiben und dadurch den Grundstein für eine feinfühlige Anlehnung zu legen. Diese ist wiederum Voraussetzung für die weitere Ausbildung. Im Idealfall sucht das Pferd den Kontakt zur Hand, und der Reiter ­gestattet diesen. Anlehnung variiert sowohl im Laufe der Ausbildung als auch innerhalb einer Trainingseinheit. Ronald Roelans erklärt: „Ein junges Pferd lasse ich zunächst mit einer leichten Verbindung den Takt finden. Dabei darf die Hand die Remonte nicht stören. Erst wenn das Pferd gelernt hat, sich unter dem Reiter auszubalancieren, und anfängt zu schwingen, kann eine gute Anlehnung entstehen.“ Gleichgewicht ist etwas, dass sich entwickeln muss. Regelmäßige Pausen, ein abwechslungsreiches Training und ein Gespür des Reiters für Kraft, Ausdauer und Konzentration des Pferdes sind dabei wichtig. Leider sieht man immer wieder Reiter, die versuchen, das Pferd durch eine entsprechende Einwirkung im Gleichgewicht zu halten. Doch eine starke Hand führt nicht zu einer guten Anlehnung, sondern bringt weitere Probleme mit sich. ­Führen Sie sich also immer wieder vor ­Augen, dass Anlehnung Zeit braucht und systematisch erritten werden muss.

In kleinen Schritten zum Erfolg

Die Anlehnung muss und kann nicht ­immer konstant sein, besonders in der ­Gewöhnungsphase. Kurze Phasen, in denen das junge Pferd im Gleichgewicht ist und den Kontakt sucht, sind immer ein Erfolg. Schließlich muss auch das Pferd erst lernen, was von ihm verlangt wird, und die entsprechenden physischen und psychischen Voraussetzungen mitbringen, um in konstanter Anlehnung zu gehen. Ronald Roelans unterscheidet generell zwischen drei Arten von Anlehnung: „Ideal ist eine gleichmäßige, leichte Anlehnung. Sie ist zwar leicht, aber stetig. Eine besonders leichte Anlehnung ist hingegen manchmal auch unbeständig.“ Zu wenig Kontakt kann dazu führen, dass die Verbindung fehlt, um das Pferd von hinten nach vorne über den aufgewölbten Rücken in die Hand hineinschwingen zu lassen. „Du kannst die Hinterbeine deines Pferdes nur dann beeinflussen, wenn du sie auch in deiner Hand hast“, sagt der Dressurreiter gerne zu seinen Schülern. Bei einer starken Anlehnung hat das Pferd diese nicht vertrauensvoll gesucht und gefunden, sondern der Reiter hat die Kopf-Hals-Haltung mit der Hand beeinflusst. Leider sieht man nicht wenige Reiter, die sich darauf konzentrieren, den Kopf des Pferdes mithilfe der Zügel in eine bestimmte Position zu bringen und ihn dort zu halten. So wird Reiten zum Kraftakt, und eine reelle Anlehnung rückt in weite Ferne.

Eine Frage des Exterieurs

Während sich manche Pferde mit feinen Hilfen in konstanter Anlehnung reiten lassen, fällt es bei anderen schwer, eine gleichmäßige, leichte Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdemaul aufzubauen. „Die Anlehnung wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst und kann von Pferd zu Pferd unterschiedlich aussehen“, sagt unser Experte. Lassen wir zunächst Sitz und Einwirkung des Reiters außen vor. „Eine sehr große Rolle spielt das Exterieur des Pferdes“, so Ronald Roelans. Denken Sie beispielsweise einmal an den Halsansatz und die Ganaschenfreiheit: Ein Pferd mit ­einem eher kurzen, dicken Hals wird die Stirn-Nasen-Linie in korrekter Anlehnung eher deutlich vor als an der Senkrechten haben müssen. Einem überbauten Pferd, das von Natur aus vermehrt auf die Vorhand fällt, wird eine konstante Anlehnung schwerfallen, da die Hinterhand nicht aktiv untertritt und die Balance fehlt. Neben dem Körperbau beeinflusst also auch das Wachstum die Anlehnung. Beide ­Faktoren bestimmen zudem den Ausbildungsweg mit. Fällt das Pferd auf die Vorhand, dann müssen die Ursachen gefunden und daran gearbeitet werden. Erst wenn sich Takt, Losgelassenheit und Balance verbessert haben, wird sich auch der Kontakt zum Pferdemaul bessern. Exterieurbedingte Probleme lassen sich bis zu einem gewissen Grad reiterlich beeinflussen, dennoch setzt der Körperbau dem Pferd auch Grenzen, die erkannt und ­beachtet werden müssen.

…die Titelstory mit vielen Bildern zur Verdeutlichung finden Sie in der Mein Pferd-Ausgabe 10/18.

BUCHTIPP

Das Buch „Feines Reiten – bereichertes Leben“ von Uta Gräf und Friederike Heidenhof beschäftigt sich mit dem Leben und den Pferden von Uta Gräf: Wie hat Le Noir Uta Gräfs Leben verändert und was hat ein Thermomix damit zu tun? Die Backstage-Geschichten der international erfolgreichen Dressurreiterin sind aus dem Leben gegriffen und lehrreich zugleich. Aus ihrem persönlichen Lebensweg ergeben sich vielfältige reiterliche Erkenntnisse, die schließlich in konkreten Praxistipps münden. Ihr Fazit: Reiten kann unser Leben bereichern, wenn wir es schaffen, gelassen an die Sache heranzugehen und mehr der Intuition und der Sympathie zu Menschen folgen, als alles dem reiterlichen Ehrgeiz unterzuordnen. In lockerer, heiterer Schreibe vermitteln die Autorinnen zudem nützliche reiterliche Tipps, ohne dass der Leser ein klassisches Lehrbuch durcharbeiten muss. Der Clou: Zu einigen reiterlichen Themen gibt es Filme, die per QR-Code über das Smartphone oder Tablet abgerufen werden können. Das Buch ist hier für 29,90 Euro erhältlich.