Wanderreiten: Sanfte Hügel und steile Berghänge, trittsichere Pferde und freundliche Menschen, heiße Quellen und ein Herdentrieb: Für die mein Pferd Leser erkundeten wir 2014 die Maremma, einen traumhafter Landstrich in der Toskana, auf einem viertägigem Wanderritt.

Ich fühle mich, als wäre ich vom Lkw aufs Bobbycar umgestiegen. Zugegebenermaßen auf ein ziemlich nettes Bobbycar. Im Vergleich zu meinem großen Warmblut zu Hause habe ich mit der Criollo-Stute Nevada recht wenig Pferd unter meinem Hintern. „Bist du dir sicher, dass ich nicht etwas zu groß für sie bin?“, fragte ich unseren Rittführer Mario Paoli am ersten Morgen unseres Wanderritts, als es darum ging, welches seiner Pferde mich durch die Maremma tragen soll. „Ma dai!“ – „Ach was!“, antwortete er im schönsten Italienisch.

Kleiner Kletterprofi

Meine Mitreiter versichern mir, dass die Größenverhältnisse nicht komplett lächerlich aussehen, und schnell merke ich, dass ich mein Bobbycar unterschätzt habe. Direkt hinter der Auffahrt des Stalls in Poggioferro beginnen die Hügel und Wälder der Maremma.

Bereits auf den ersten Metern wird mir klar, dass Nevada der Profi ist, nicht ich. Die kleine Stute reagiert gut auf Gewichts- und Schenkelhilfen, die Zügel lasse ich lang, damit sie sich mit tiefer Nase ihren Weg den steilen Pfad hinauf suchen kann. Es duftet nach Pinien und Waldboden, Sonnenstrahlen fallen durch die Äste auf unseren Weg und lassen Pferdeaugen aufleuchten und Menschengesichter strahlen. Die Stimmung in der Gruppe ist gut, wir reden einen Mix aus Italienisch und, nein, nicht Deutsch, sondern Bayerisch. Denn die „deutschen“ Reiter unserer Gruppe sind eingeschworene Wanderreiter aus Oberbayern. Sie sind mit den eigenen Pferden in die Toskana gekommen und nehmen mich trotz anfänglicher Verständigungsschwierigkeiten herzlich auf.

Wanderreiten: Dolce Vita
Mario behält den Überblick

Unser Weg führt über Feldwege, durch kleine Dörfer und auf schmalen Pfaden gewaltige Steilhänge hinauf. Schnell habe ich die Orientierung verloren. Zum Glück kann Mario immer die Richtung weisen: Ein Mal pfeifen heißt links, zwei Mal pfeifen heißt rechts abbiegen – das versteht man in jeder Sprache. Bald kommt die erste Bewährungsprobe:

Zwischen zwei Hängen fließt ein schneller, breiter Bergbach über Felsbrocken. Einige Pferde machen ein paar rasche Sätze, um wieder aus dem Wasser hinaus und den Berghang hochzukommen. Jetzt lerne ich die Wendigkeit der Criollo-Stute besonders zu schätzen: Nevada tastet sich nach anfänglichem Zögern entspannt über die Steine und klettert am Ende behände das gegenüberliegende Ufer hinauf. Noch nie saß ich auf so einem trittsicheren Pferd.

Als Mario mir erzählt, dass Nevada gerade mal vier Jahre alt ist, fällt mir die Kinnlade herunter. „Sie stammt aus unserer eigenen Zucht. Bis die Pferde drei Jahre alt sind, lassen wir sie komplett in Ruhe und starten dann langsam mit dem Training. Vorher sind sie auf unseren riesigen Weiden, wo sie schon all das Gelände vorfinden, durch das sie später geritten werden. Deswegen haben sie nie Probleme mit dem Untergrund.“

Während Nevada mich brav jeden Berg hinaufträgt, kommt sie zwar ins Schwitzen, jedoch geht ihre Atmung völlig gleichmäßig. Ich bin beeindruckt von der kleinen, zähen Stute. Beim Abschlussgalopp streckt sie sich raubkatzenartig und kann problemlos mit den größeren Pferden mithalten.

Die Transumanza

Am nächsten Tag steht ein Highlight meines Aufenthaltes in der Maremma auf dem Programm: die Transumanza. So nennt man den Pferdetrieb, bei dem wir gemeinsam mit etwa 30 weiteren Reitern eine Herde Jährlinge von der Weide am Stall auf eine höher gelegene Koppel bringen sollen. Das Tor wird geöffnet, und wir reiten raus ins Gelände – Mario mit der Leitstute als Handpferd vorweg, die übrigen Reiter hinterher.

Es geht Berge hinauf und wieder runter, um viele Kurven und durch kleine Dörfer. Die Menschen bleiben stehen, grüßen freundlich und beobachten unseren Tross. Immer wieder brechen einzelne Pferde aus. Zum Glück müssen wir dann lediglich stehenbleiben und dafür sorgen, dass sie nicht in die entgegengesetzte Richtung laufen, die eigentliche Arbeit übernimmt das Team des Hofs: Fabrizio schneidet den „Deserteuren“ den Weg ab und treibt sie zurück Richtung Leitstute.

Wanderreiten: Dolce Vita
Nach über drei Stunden kommen wir auf der Koppel an. Die Jährlinge erstürmen das neue Terrain, wälzen sich und grasen.

Ich nehme Nevada die Trense ab, lasse sie trinken und möchte sie dann anbinden, als Mario abwinkt: „Nevada? Die bleibt sowieso hier. Lass sie einfach laufen und grasen.“

Gesagt, getan. Und wirklich: Die Stute bleibt in der Nähe. Auch die Reiter sind dankbar um die Pause: Marios Frau Maria-Rosa bringt Essen und Trinken auf die Koppel, wir verschnaufen im Gras. Auch auf dem Rückweg halten die Pferde gut durch, aber ich habe den Eindruck, dass Nevada etwas müde wird. Kein Wunder, von einem vierjährigen Pferd kann man noch keine dauerhafte konditionelle Meisterleistung erwarten.

Wanderreiten: Dolce Vita!
Pause, um neue Kraft zu tanken

Also bespreche ich abends mit Mario, dass ich für die nächsten zwei Tage lieber ein anderes Pferd nehme. „In der Regel gehen meine jüngeren Pferde höchstens ein, zwei Tage am Stück bei den Ausritten mit“, sagt der Maremmano.

Das Pferd als Arbeitstier

Das Verständnis vom Pferd an sich ist in Italien ein ganz anderes als in Deutschland, das merke ich schnell. So gibt es einige Punkte, von denen ich nicht sehr angetan bin: Alle italienischen Pferde könnten meiner Meinung nach ein paar Kilo mehr auf den Rippen vertragen, und auch stelle ich Nevada nur mit Bauchgrummeln in den Ständer zu den anderen Pferden, wo sie über Nacht am Hof stehen. „Hier stehen sie aber nur, wenn sie ‚arbeiten‘ müssen“, erklärt mir Mario.

„Ansonsten sind sie 24 Stunden am Tag auf der Koppel.“ Und wirklich, als ich am nächsten Morgen aufstehe, ist Nevada verschwunden, auf eine der vielen Wiesen gebracht.

„Arbeiten“, das trifft es wirklich.In Italien wird das Pferd weitläufig als Arbeitstier angesehen, aber ich verstehe diesen Begriff vor allem positiv: Der Umgang ist entspannter und zweckmäßiger, dem Pferd wird eine Aufgabe gegeben, die es als Partner des Reiters erfüllt.

Wir halten an einem kleinen Hof und holen uns bei dem Hofbesitzer zwei Flaschen des regionalen Weins Morellino. Das heißt, wer etwas von seinem Wein hat. Gianfranco, einer unserer italienischen Mitreiter, stellt sich unvorsichtigerweise direkt hinter ein Pferd, dessen Huf landet punktgenau auf seinem Oberschenkel – und der schöne Rotwein fliegt in einem hohen Bogen durch die Luft. Mit verzerrtem Grinsen versichert er uns „Non è niente!“, dass nichts passiert sei, und gießt sich schnell nach. Klar, ein italienischer Macho kennt keinen Schmerz …

Am frühen Abend kommen wir in Saturnia an, einem Kurort mit heißen Quellen. Wir bringen die Pferde zu einer großen Wiese, ihrem heutigen Nachtquartier. Behelfsmäßige Paddocks werden mit Plastikpfosten und Stromlitzen aufgebaut, und es gibt ein Abendessen unter freiem Himmel. Wer möchte, stattet danach den Thermalquellen einen Badebesuch ab. Ich tausche schnell meine verstaubten Reitklamotten gegen den Bikini und halte eine Zehe in das Wasser. Schön warm ist es, aber der Geruch schreckt mich zunächst ab: Es stinkt nach faulen Eiern.

Wanderreiten: Dolce Vita!
Ankunft in Saturnia

Das weiß-trübe Schwefelwasser sei aber gut für den Kreislauf und für die Haut, versichert mir Mario. Also Nase zuhalten und rein. Was für eine gute Entscheidung! Nach ein paar Momenten nehme ich den Schwefelgeruch gar nicht mehr wahr. Ich lasse mir das Wasser auf den Rücken prasseln, während um uns herum die Nacht hereinbricht. Am nächsten Morgen fahren wir zurück zu den Pferden. Trotz der Befürchtung, dass sie sich (mangels ausreichender Stromgeräte) über Nacht aus den Paddocks befreit haben könnten, sind dank der Bewachung durch das Reithofteam alle auf ihrem Platz geblieben und wirken ausgeschlafen. Heute morgen bin ich stiller als sonst, denn: Ich bin verliebt. Tango hat es mir mittlerweile so angetan, dass ich mir überlege, wie ich ihn auf meinem Rückflug möglichst unauffällig im Handgepäck unterbringen könnte …

Tango, Ti amo

Nicht nur mein Pferd habe ich ins Herz geschlossen, auch meine Mitreiter. Arno ruft zu mir hinüber: „Du kannst doch heute noch nicht fahren, du gehörst doch schon fest dazu!“ Die Glücklichen dürfen noch fünf Tage länger die schöne Maremma erreiten, ich muss heute Nachmittag zurück nach Deutschland. Aber noch bin ich hier, schnell schüttle ich den Anflug von Melancholie ab und genieße meinen letzten Vormittag.

Wanderreiten: Dolce Vita!
Ritt durch das Flussbett

Wir reiten durch ein riesiges Flussbett, das zur Hälfte ausgetrocknet ist. Ein Pferd scheint der Untergrund so zu reizen, dass es sich mitsamt seines Reiters spontan zum Wälzen hinlegen will – davon können wir es zum Glück jedoch rechtzeitig abhalten. Der Fluss führt noch genügend Wasser für eine ausgelassene Planschpartie. Die Pferde freuen sich sichtlich über die Abkühlung, graben mit den Hufen im Wasser und trinken. Viel zu schnell erreichen wir unseren mittäglichen Haltepunkt. Für mich heißt das: Finito! Noch einmal streichle ich schwermütig Tango über seinen dicken Schopf, verabschiede mich von meinen Reisegefährten und der Familie Paoli. Während die anderen nachmittags durch die Hügel und Wälder der Maremma weiter zum Zielpunkt am Meer reiten, sitze ich schon im Flugzeug.

Im Gepäck habe ich zwar keinen braunen Wallach, dafür Einladungen zu Wanderritten in Bayern und allen Teilen Italiens, schöne Bilder im Kopf, Sonne auf der Haut und das Versprechen an mich selbst, möglichst bald wiederzukommen.

Tenuta il Prato

Die Familie Paoli betreibt in Poggioferro den Hof „Tenuta il Prato“ und bietet auf diesem die „Cavallo Avventura“ (deutsch: „Pferdeabenteuer“) an.

Sie selbst haben etwa 60 Pferde, auf denen man Tagesund Wanderritte unternehmen kann. Das Besondere: Man kann auch mit eigenem Pferd anreisen. Für die Pferde stehen Gästeboxen bereit, für Heu und Kraftfutter ist gesorgt. Die Pferde können von Süddeutschland aus mit dem Transporter in die Toskana gebracht werden. Kommt man aus nördlicheren Regionen, sollten auf jeden Fall zwei Tage für die Fahrt eingeplant werden. Obwohl der Weg von Oberbayern bis in die Maremma über 700 Kilometer beträgt, zeigten die deutschen Pferde keinerlei Ermüdungen von der Fahrt – sie liefen von Anfang an fleißig und ausgeruht mit. Die Gäste schlafen in Bungalows oder während des Wanderritts in Zelten.

Mario Paoli richtet sich bei der Routenplanung nach den Wünschen der Gäste: So kann man einzelne Tagesritte absolvieren oder in Etappen beispielsweise bis ans Meer reiten. Im März 2014 kostete der All-inclusive-Aufenthalt (wobei An- und Abreise als Reisetag mitzählten) pro Tag mit eigenem Pferd 100 Euro, mit Leihpferd 130 Euro. Die Kommunikation läuft dabei über Dolmetscher Hermann Bittner (cavalloavventura.de@gmail.com, 08803/5776), der deutsche Reitgäste gerne an Mario Paoli vermittelt.