Nach langer Vorbereitung ging es für Ira Hoch und ihre Shagya-Araber-Stute im September auf einen Alpenwanderritt von Weilheim bis Meran – rund sechs Stunden an neun aufeinanderfolgenden Tagen hieß es reiten, reiten, reiten und dann: staunen
Text und Fotos: Ira Hoch

Wir, das sind meine Araber-Stute Siri und ich, starteten in Weilheim, Oberbayern. Hier im Allgäuer Voralpenland war das Gelände noch sanft hügelig und ohne größere Herausforderungen. Nach einer ersten Übernachtung und mit erfreulich entspannten Pferden starteten wir in den ersten Reittag. Entlang der Bahnlinie durch allerlei Straßenverkehr und vorbei an Lamas, Alpakas und Rindern zeigte sich schnell: Verkehrs- und Umweltsicherheit sind Grundvoraussetzungen für unsere Pferde für diesen Ritt. Am Abend des ersten Reittages, in Bad Bayersoien, ging uns der Paddockbau noch etwas sperrig von der Hand. Aber das sollte sich durch die Routine der kommenden Tage bessern. Anderntags erreichten wir Ettal. Eine ausgewogene Strecke erlaubte abwechslungsreiches Reiten, und die eindrucksvolle Bergkulisse rückte in greifbare Nähe. Wir bezogen Quartier im Gästehaus Gröbl, und morgens beim Füttern stellte ich fest, dass Siri einen leicht erwärmten Huf hatte. Ich fragte mich, ob der Schreckmoment, der sie von einem Gehsteig hinabspringen und ausrutschen ließ, oder der vorwiegend harte und steinige Untergrund, auf dem wir ritten, ursächlich waren für diese Reizung – Sohlen unter den Eisen hätten im Vorfeld für Schonung und Entlastung gesorgt. Ich ließ Siri für einen Tag aussetzen, fuhr sie mit dem Anhänger zur nächsten Station nach Biberwier und führte sie zum nahe gelegenen Wildbach, in welchem wir dann unseren Nachmittag verbrachten, um die Füße zu kühlen. Sollte hier die Tour für uns schon enden? Der nächste Tag würde es zeigen.

Tatsächlich waren Siris Hufe am nächsten Morgen wieder kühl und das Gangbild unauffällig. Zum Glück ritt eine Hufschmiedin mit, die sie im Auge behielt. Von Biberwier aus ging es über die Almen zum Einstieg in die Fernpassroute. Wir bewältigten die imposante Felsenbrücke, eine Holzbrücke, die um eine Felsnase herumführt, und überschritten kurze Stücke der antiken Via Claudia Augusta, der römischen Fernpassstraße. Zu erkennen, dass sich Karrenspuren tief in das Gestein gegraben hatten, war eine anrührende Erfahrung. Schließlich tangierten wir beim Passieren des Schlosses Fernstein sehr nah die Fernpassstraße und waren glücklich, schon bald wieder in den Wald eintauchen zu können. Schließlich erreichten wir Tarrenz pünktlich zum Country-Fest mit Linedance am Gasthaus Sonne. Der nächste Tag bescherte einen abwechslungsreichen Trail, und das Ziel „Neu Amerika“ in Wenns, benannt nach einem Auswanderer, der mit einem Koffer voller neuer Ideen aus Amerika zurückkam, ist wirklich einen anstrengenden Ritt wert! Dort erreicht man eine Westernranch mit Saloon, die Auge, Herz und Gaumen verwöhnt. Doch davor wollte eine herausfordernde Route bewältigt werden. Wir passierten ein Hochmoor, das uns wild und unheimlich erschien, da die Pferde auf den Pfaden zum Teil tief einsanken. Aus diesem Gelände heraus erfolgte der Aufstieg über einen steilen, felsigen Pfad hinauf zum Naturhaus am Naturpark Kaunergrat. Hier wurde zum ersten Mal richtig geklettert, und das Vorderzeug machte sich bezahlt. Siri kletterte energisch hinter den Freibergern her, machte aber zu keiner Zeit den Eindruck, überfordert zu sein. Im Gegenteil: Ich glaube, dass ein Pferd wie sie mit den Herausforderungen immer besser wird. Sie zeigte sich enorm trittsicher und, was besonders wichtig war, unbeirrbar, rittig und konzentriert. Oben angekommen wurden die Pferde mit einer Rast und wir mit einem großartigen Blick über das Pitz- und das Kaunertal belohnt. Nun, dem Aufstieg folgt naturgemäß ein langer Abstieg, den wir zu Fuß bewältigten, da unsere Pferde allerhand mit den vielen Eisenrinnen zu schaffen hatten, die in wiederkehrenden Abständen den Weg queren und zur Entwässerung der Almen dienen. Insgesamt blieben drei Eisen in solchen Rinnen hängen, weitere lockerten sich. Glücklicherweise führte unser „Bordschmied“ ein multifunktionelles Werkzeug mit sich, mit dem das Dilemma kurzerhand beheben ließ. Während wir uns in den rustikalen Zimmern von „Neu Amerika“ erholten, ruhten sich die Pferde in Boxen aus. Zum ersten Mal konnte ich feststellen, dass Siri sich nachts zum Schlafen hingelegt hatte. Offenbar bot ihr die Box Schutz, auch wenn ich mir einbilde, dass Pferde sich draußen wohler fühlen sollten. Am übern.chsten Tag kamen wir zum Anstieg in den Reschenpass. Vom ausgebauten Wirtschaftsweg zweigte ein idyllischer Waldpfad ab, der sich schnell zu einem steilen, langen und sehr schmalen Aufstieg entwickelte. An manchen Stellen bot sich linksseitig der Blick in abgründige Tiefen, und mein Vertrauen in mein Pferd war gefordert. Oben hinter dem Ausstieg aus dem Steig fanden wir uns auf der alten Reschenpassstraße wieder. Direkt vor uns lag der Zugang zu einem der stillgelegten Tunnel. Hier konnten wir steinschlaggeschützt Rast mit unseren Pferden machen. Der Blick aus den Arkaden beziehungsweise von der alten Passstraße herab war atemberaubend. Aber das eigentliche Abenteuer des Tages stand uns noch bevor: Um die Reschenpasshöhe zu erreichen, war ein Tunnel der aktuellen Passstraße zu durchqueren. Das war unumgänglich, und glücklicherweise war die österreichische Polizei bereit, diesen für uns kurzzeitig für den Verkehr zu sperren. Das bedeutete, zügig in eine dunkle, hallende Röhre einzureiten, in welcher zu allem Überfluss auch noch Baustellenlichter blinkten. Boten eingangs die Arkaden noch etwas Tageslichtbeleuchtung, wurde es rasch dunkel um uns. Meine Shagya-Araber-Stute hielt den Atem an und tat ihre Arbeit. Auch diese Prüfung hat sie mit Bravour bestanden. So wanderten wir durch Nauders am Reschenpass, entlang des Reschensees und erreichten schließlich St. Valentin auf der Haide. Der Anblick des versunkenen Kirchturmes im See hinterließ bei uns allen einen betrübten Eindruck. Allein der Turm war eine einzige Anklage gegen die Bausünde der Vergangenheit, die ein ganzes Dorf untergehen ließ und ein Stück Alpengeschichte einfach versenkte. Die folgenden Tage führten hinab ins Vinschgau, was bedeutete, dass wir durch Apfelplantagen ritten. Entlang der Bahngleise, der Straße oder den unzähligen Beregnungsanlagen, ständig gesäumt und begleitet von Radwanderern, geriet diese Strecke unerwarteterweise zur anstrengendsten Tour für Siri und mich. Nicht aufgrund des Anstiegs oder der Bodenbeschaffenheit – nein, allein durch fortwährend andauernder Gleichförmigkeit und den Unmengen von Radwanderern, die zum Teil in abenteuerlicher Weise die Reitergruppe passierten. Während wir in Schlanders im Biohotel Anna eine Cidre-Verköstigung genossen und allerlei Geschichten rund um Äpfel zu hören bekamen – jeder zehnte in Europakonsumierte Apfel stammt aus dem Vinschgau – bauten unsere Pferde, die zum Glück an diesem Abend ihre Paddocks innerhalb eines Reitplatzes hatten, die Zäune ab und vermengten sich zur Herde. Als wir frühmorgens zum Füttern ankamen, bot das Paddockmaterial den Anblick eines Schlachtfeldes; von den Pferden war jedoch zum Glück, abgesehen von ein paar Schrammen und Bissen, keines verletzt. Erstaunlich war zu beobachten, dass die Hierarchien zwischen den Pferden scheinbar vollständig geklärt waren. Ein weiterer Tagesritt führte uns schließlich unserem Ziel Meran immer näher. Brücken, Wege und Pfade, dieses Mal auch fern der Radwanderroute, führten uns südlicher. Die Pferde, inzwischen zu einer gut funktionierenden Gruppe zusammengewachsen, erlaubten uns noch eine herrliche Mittagsrast an einer Grillhütte vor Naturns, während sie an Bäumen angebunden ruhten. Großartig, so entspannte Pferdepartner dabei zu haben! Ein super Gefühl für uns alle, schließlich vollzählig in Meran anzukommen. Grund genug, den Ritt nach Versorgung unserer fantastischen Pferde mit einem feinen Menü im Gasthaus Lamm zu feiern. Es war ein wirkliches Abenteuer, und mein Pferd hat sich in jeder Hinsicht begeisternd gut geschlagen. Sie ist ein tolles Pferd und Vertreterin einer außergewöhnlich leistungsbereiten Rasse, für die ich mich jederzeit wieder entscheiden würde!

Alpen Deutschland-Italien auf einem Blick:
Die Alpen stellen das höchste Gebirge im Herzen Europas dar. Sie erstrecken sich über mehrere Länder und machen einen rund 1200 Kilometer langen und zwischen 150 und 250 Kilometer breiten Bogen vom Ligurischen Meer bis hin zum Pannonischen Becken.