Text & Foto: Eva Roden (Leserin der Mein Pferd)

Grübelnd wandert mein Blick zur Uhr. Ob die Zeit zwischen Kinderturnen und Abendessen noch für einen kurzen Abstecher zum Stall ausreichen wird? Wohl nur, wenn der Wocheneinkauf mal wieder um einen Tag verschoben wird. Ich seufze, verpacke meine beiden Kinder in ihre warmen Jacken und drücke ihnen die Turnbeutel in die Hand. Während sie sich auf dem Rücksitz des Autos auf ihre Sportstunde freuen, wandern meine Gedanken wehmütig zurück in die Zeit, in der ich noch Zeit hatte.

Nach meinem Studium erfüllte ich mir den lang gehegten Traum von einem eigenen Pferd, und die damals dreijährige Araber-Stute Namila zog in einen nahe gelegenen Pensionsstall. Ich war Pferdebesitzerin! Endlich! Was für ein unglaubliches Gefühl! In den folgenden Jahren war der tägliche Stallbesuch für mich so selbstverständlich wie das Frühstück am Morgen. Ungezählte Ausritte mit meiner besten Freundin, stundenlanges Werkeln am Stall, lehrreiche Reitstunden und manch erlebnisreiche Tagestour – es war eine wunderbare Zeit, in der ich meinem Hobby unbeschwert nachgehen konnte.

Dann änderte sich mein Leben allmählich. Nach der Hochzeit mit meinem Mann ging es gleich weiter an die Hausplanung. Statt Ausritten stand nun samstags der Besuch von Bäderausstellungen auf dem Programm. Und kurze Zeit später hieß es dann „Windeln wechseln“ – ich war Mama geworden. Auf meinen Sohn folgte 1,5 Jahre später dann noch meine Tochter, und die Familie war komplett. Alles lief, wie ich es mir immer gewünscht hatte. Ich hatte nun ein schönes Haus, einen liebevollen Mann und zwei quirlige, gesunde Kinder – mehr, als man sich wünschen kann. Nur die Besuche am Stall wurden deutlich weniger. Es wurde immer schwieriger, mich zu Hause loszueisen und Zeit für Namila freizuschaufeln. Nun war die Devise: kurze Stippvisiten statt endlose Stalltage, mal eben schnell longieren statt ausgedehnte Ausritte.

„Nimm doch die Kinder mit zu Namila“, rieten mir wohlmeinende Freunde. Und so packte ich die beiden in ihre Matschanzüge, und wir fuhren gemeinsam zum Stall. Doch schon das Holen meines Pferdes von der großen Koppel erwies sich als kaum überwindbares Hindernis: Entweder musste ich zwei Kleinkinder mit in die Herde nehmen oder die beiden allein vor dem Stromzaun und zwischen den herumtollenden Hunden warten lassen. Gelang es mir, Namila einzusammeln, verlangten meine Kinder beide sogleich lautstark, reiten zu dürfen. Während wir das Pferd noch putzten, wurden die Kinder von einem dringenden Hungergefühl überwältigt, und so musste erst einmal die mitgebrachte Brotdose geplündert werden. Nach dem sich anschließenden, obligatorischen Toilettengang, dem Klären des Streitpunktes, wer zuerst reiten darf, und dem scheinbar endlosen Marsch zur (eigentlich nahe gelegenen ) Reithalle, ging die Kinderreitstunde endlich los. Begeistert winkten die Kinder vom Pferd herunter und amüsierten sich stolz, wie klein ich plötzlich sei. Von ihrem hoch gelegenen Aussichtspunkt entdeckten sie bereits nach der 2. Runde das Trampolin am Rande der Reitbahn. Und so krähten beide im Chor, dass sie nun Trampolin springen möchten. Verdattert blieb ich allein mit Namila in der Hallenmitte zurück und beschloss, meine Stallbesuche in nächster Zeit einfach wieder allein zu bestreiten.

Einfach? Wohl eher nicht. Aufgeben? Erst recht nicht! Ich bin immer noch von Herzen gerne Pferdebesitzerin. Auch nach 13 Jahren. Das Wohlergehen meines Pferdes ist mir sehr wichtig, und ich würde sofort alles stehen und liegen lassen, wenn es Namila nicht gut ginge. Aber heute bin ich eben nicht nur Pferdebesitzerin. Sondern auch Ehefrau, Mama, Lehrerin, Hausfrau und Freundin. Leider hat sich aber mein Zeitdepot – im Gegensatz zu meinen Verpflichtungen – nicht multipliziert. Und so nagt das schlechte Gewissen an mir, wenn der Besuch am Stall mal wieder (recht kurz) ausgefallen ist. Dann stürze ich kopfüber in die Midride-Crisis und träume von den alten Zeiten. Zeiten mit Zeit und weniger Pflichten. Dann blättere ich zwischen Legotürmen im Kinderzimmer in Pferdezeitschriften und beneide heimlich die strahlenden Reiterinnen auf den Hochglanzseiten.

Es tröstet mich zu wissen, dass Namila in ihrer kleinen Araber-Herde und dem schönen Offenstall mit den riesigen Koppeln glücklich ist. Dass die Stallbesitzerin sehr sorgsam ist und die Pferde täglich gut versorgt. Dass Namila mir beim Reiten durch ihre ausgeglichene Art zeigt, dass es ihr gut geht. Und dass es vielen anderen Mamas bestimmt ähnlich ergeht. Aber ein bisschen Wehmut bleibt.

Während ich in einer Parklücke vor der Turnhalle einparke, beschließe ich, dass Einkaufen überwertet wird und der Besuch am Stall heute vorgeht. Man lebt nur einmal. Und die Beziehung zum Pferd will schließlich gepflegt werden. Wie eine Ehe. In beiden gibt es Höhen und Tiefen. Aufregende und eintönige Zeiten. Freud und Leid. Aber am Ende des Tages wird zusammengehalten. Aufgeben gilt nicht. Pferd verkaufen – keine Option. Sondern das Beste draus machen und jede gemeinsame Minute genießen. In diesem Sinne möchte ich allen reitenden Mamas Mut machen, an ihrem Hobby festzuhalten – dem schönsten der Welt.