Text und Foto: Helga Schnehagen

Nicht umsonst gilt Umbrien – gerne auch der kleine Nachbar der Toskana genannt – als grünes Herz Italiens: Wohin man schaut, grüne Hügel. Es im Sattel zu entdecken, ist ein echtes Geschenk. Reiter sind herzlich willkommen, denn hier leben Pferdefreunde. Selbst der Förster versieht seinen Dienst im Sattel und lässt es sich nicht nehmen, uns zu begleiten. Unsere Trekking-Tour beginnt im Agriturismo Malvarina, fünf Kilometer östlich von Assisis Altstadt, wo jeder Touris­tentrubel verstummt ist. Die Eingangstür ist mit Plaketten aus Hotellerie und Gastgewerbe übersät. In jedem Winkel lädt der liebevoll eingerichtete Landsitz dazu ein, die Seele baumeln zu lassen – und die Füße im Pool. Noch sitzt Fabio am Rand und schwärmt vom Muli als dem „besseren“ Pferd: robust, genügsam, zäh, trittsicher, treu, belastbar, gelehrig und kostengünstig. Als einer der Reiter des italienischen Vereins der „Muli Montati“ muss er es wissen, und zusammen mit einem Dutzend anderer Mitglieder ist er auf der Tour mit von der Partie. Da fragt sich der Pferdereiter schon, ob sein Tier bei so viel „Muli-Qualität“ wohl mithalten kann. Um es vorwegzunehmen: Es kann. Die sieben Pferde aus Robertos Reitstall auf der Malvarina stehen den Mulis in nichts nach. Auch sie sind Hybriden, allerdings mit Arabern gemixt: Vom arabisierten Haflinger über das Arabo-Quarter-Horse bis zum arabisierten Maremmano, eine aus der Maremma in der südlichen Toskana stammende Pferderasse. Durchtrainiert, trittsicher und am letzten Tag noch genauso frisch wie am ersten.

An Touren vom Tagesausflug bis zum Vier-Tage-Ritt sind die Pferde gewöhnt. Drei Stunden dauert der Aufstieg von 400 auf 1.200 Meter zum Gipfel des Monte Subasio mit seinen seltsamen Dolinen (Kalktrichter), vier Tage unsere Tour zu den 120 Kilometer entfernten Piani di Castelluccio auf 1.400 Meter Höhe bei Norcia. Was sich so einfach dahin sagt, ist Sport. Die Apennin-Tour über alte Viehtriebwege und steinige Bergpfade bedeutet ständiges Bergauf und Bergab. Bei 78 Prozent Gefälle müssen selbst Reiter absteigen und ihre Pferde führen. Wanderritt kommt eben auch von Wandern. Doch Pferde und Streckenführung sind so gut, dass wir nur ein einziges Mal führen müssen. Von den Olivenhainen rund um Spello und der antiken Via Flaminia geht es immer tiefer hinein in Umbriens wilden Apennin! Dabei bieten sich viele landschaftliche und kulturelle Juwelen: Beispielsweise das Menotre-Tal bei Foligno mit dem malerischen Bergdorf Pale in 476 Metern Höhe mit rauschendem Wasserfall, enger Tropfsteinhöhle und einer Wallfahrtskirche.

Auf den Piani di Castelluccio, dem 15 Quadratkilometer großen Hochplateau der Monti Sibillini, heute Nationalpark, hat man alle Zivilisation hinter sich gelassen. Inmitten scheinbar unendlicher Weite flattern die Mähnen im Wind. Umgeben von bizarren Bergen und malerischen Tälern weiß das überwältigte Auge gar nicht, wohin es zuerst schauen soll. Nur Schäfer mit ihren Herden ziehen über die weiten Grasflächen. Blühende Wildblumen machen die umbrische Verzauberung perfekt. In Castelluccio di Norcia nehmen wir die Füße aus den Steigbügeln und steigen ab. Unser Ziel ist erreicht. Bei dem Erdbeben vom 26. Oktober 2016 lag Castelluccio im Epizentrum des Bebens und ist immer noch sichtlich betroffen. Für die Wiederherstellung der zerstörten Pferdeställe in der Region hatte man in ganz Italien zu Spenden auf­gerufen, so Domitilla del Balzo, ­Journalistin der italienischen Reiter- und Pferdezeitschrift Cavallo Magazine.

Die Heimreise treten wir mit dem Auto an. Auch Pferde und Mulis dürfen zurückfahren. In vertrauter Umgebung lassen wir uns das Abschiedsmenü auf der Malvarina schmecken. Spezialität sind „Lenticchie di Castelluccio“ – die Linsen aus Castelluccio gelten als die besten Italiens. Sie werden seit jeher biologisch angebaut, haben eine besonders feine Schale und schmecken gekonnt zubereitet so wenig nach Linsen, dass nur der Blick auf die Karte sie noch verrät. Dabei haben wir zum Schluss noch einmal die bio-bunt blühenden Felder von Castelluccio vor Augen.

Ihre Helga Schnehagen

www.malvarinashop.it

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