Eine englische Studie hat schwarz auf weiß bestätigt, was wir insgeheim schon immer gehofft haben: Pferde erkennen uns anhand unserer Gesichter. Wir verraten Ihnen, wie Ihr Pferd die Welt sieht – und was das für das Vertrauen zum Menschenbedeutet
Text: Jessica Classen / Fotos: Viktoria Tönnissen

Alles ist still, als Kristin auf den Hof kommt. Die Pferde mümmeln genüsslich ihr Heu, brummeln, schnauben kurz hier und da und ruhen sich von ihrem Tag auf der Weide aus. Im Vorbeigehen heben manche den Kopf, futtern dann aber lieber ihr Heu weiter. Als Kristin bei der Paddockbox ihres Pferdes ankommt, ertönt ein lautes Wiehern: Freibeuter und Edda haben sie erkannt. Der braune Wallach und die Tinker-Stute freuen sich sichtlich, dass sie da ist, denn sie kommen vorne ans Gatter und möchten begrüßt werden. Haben sie ihre Besitzerin am Klang ihrer Schritte oder an ihrem Aussehen erkannt, als sie gerade zufällig aus der Box schauten? Oder wussten sie schlichtweg, dass sie bald kommen würde, weil sie ein Gewohnheitsmensch ist und immer zur selben Uhrzeit kommt?

Lächeln tut gut

„Das Verhalten eines Pferdes wird von dem bestimmt, was der Mensch macht“, erklärt Pferdepsychologin Daniela Bühler. „Sie können sich die kleinsten Reize einprägen und reagieren dementsprechend.“ So erkennen sie zum Beispiel unsere Mimik, wie auch Amy Smith von der University of Sussex im britischen Brighton in einer kürzlich veröffentlichten Studie herausfand. In dieser Studie hatte sie gemeinsam mit Kolleginnen 28 Pferde untersucht, indem sie ihnen ohne vorheriges Training Fotos von verschiedenen Menschen zeigte. Die Menschen auf den Bildern hatten entweder ein verärgertes oder ein fröhliches Gesicht. Während des Versuches schauten die Forscherinnen die Pferde nicht an, um die Tiere nicht zu beeinflussen. Einzig Kameras hielten diese Momente und Reaktionen fest. Amy Smith und ihr Team maßen den Herzschlag der Pferde fünf Minuten, bevor sie ein Bild zeigten, und fünf Minuten danach. Bei der Analyse fiel besonders auf, dass die Pferde bei verärgerten männlichen Gesichtern heftiger reagierten: Sie drehten den Kopf so, dass sie das Bild mit dem linken Auge ansahen, wurden nervös, und ihr Herzschlag erhöhte sich. Bei den fröhlichen Gesichtern zeigten sie dieses Verhalten nicht, und auch ihr Puls blieb im normalen Bereich. Demnach reagieren Pferde vor allem auf Wut oder Ärger ihres menschlichen Gegenübers. „Mit Hilfe mentalen Trainings kann ich aber meinen Ärger oder Stress abbauen, bevor ich zum Stall fahre“, erklärt Mentalcoach Antje Heimsoeth, die sich mit ihrem Buch „Mental-Training für Reiter“ (erschienen im Verlag Müller Rüschlikon) an all diejenigen wendet, die sich manchmal selbst im Weg stehen: Viele lassen zu, dass Stress, Ängste, zu hoher Erwartungsdruck oder mentale Blockaden sie am Erreichen ihrer reiterlichen Ziele hindern. „Haltung und Bewegung des Körpers beeinflussen meine innere Haltung und umgekehrt“, erklärt Antje Heimsoeth. „In der Forschung wird dieser Zusammenhang Embodiment genannt. Wenn ich lächle, geht es mir gut oder zumindest schon einmal besser.“ Lächeln tut gut und kann wahre Wunder bewirken. Am besten probieren Sie es selbst jetzt gleich direkt einmal aus: Nehmen Sie einen Stift quer in den Mund. Achten Sie darauf, dass Sie den Stift nur mit den Zähnen, nicht aber mit den Lippen berühren. Halten Sie den Stift circa zwei Minuten lang. Nach Ablauf dieser Zeit werden Sie feststellen, dass Sie sich besser fühlen – weil Sie gelächelt haben. „Versuchen Sie daher, immer mit solchen kleinen Tricks Ihr inneres Aufgebrachtsein unter Kontrolle zu bekommen, wenn Sie zu Ihrem Pferd gehen“, sagt die Expertin. „Immerhin wird es Ihnen sofort ansehen, ob Sie etwas beschäftigt, und es wird dementsprechend darauf reagieren.“ Und Daniela Bühler ergänzt: „Pferde sind sehr gute Beobachtungskünstler. Sie denken nicht wie wir Menschen, sie nehmen Reize wahr und reagieren mit ihren Instinkten.“ Aus diesem Grund reagieren Pferde auch so heftig auf verärgerte Gesichter von Menschen. Sie sind Fluchttiere, die mithilfe ihrer Instinkte überleben.

Schau mir in die Augen

Droht Gefahr? Oder meint der Mensch es gut? Mit einem Blick können Pferde erkennen, ob ihr menschliches Gegenüber ihnen wohlgesonnen ist oder nicht, und ob sie sich besser in Sicherheit bringen sollten. „Die sogenannte Intelligenz eines Pferdes beruht vor allem auf Lernverhalten“, so Pferdepsychologin Daniela Bühler. „Pferde als intelligent zu bezeichnen würde bedeuten, dass wir sie mit dem Menschen gleichsetzen und sie vermenschlichen. Aber Pferdemachen nicht bewusst etwas gut oder schlecht. Sie können nicht vorausschauend etwas planen, kennen keine Schuld, keinen Ehrgeiz und werden auch nicht verlegen oder schämen sich.“ Durch Millionen von Nervenzellen unter dem Sinnesorgan Haut nehmen Pferde Schmerzen ebenso wahr wie die leichte Berührung einer Fliege oder Mücke. Diese Wahrnehmung der Nervenzellen wird an das Gehirn weitergeleitet, und dort werden mittels sogenannter Umschaltzentren die Informationen an die Muskelzellen weitergeleitet. Diese führen dann die Bewegungen aus. „Pferde sind von der Natur mit Fähigkeiten ausgestattet, die ihr Überleben ermöglichen“, erklärt Daniela Bühler weiter. „Sie sind uns Menschen überlegen. Beispielsweise ist ihre Schnelligkeit um ein Vielfaches höher.“ Um zu wissen, warum ein Pferd sich in bestimmten Situationen so verhält, und um als Mensch ebenso im Gesicht des Pferdes lesen zu können, müssen auch wir genau hinschauen und uns vielleicht sogar ins Pferd hineinfühlen können. „Aber Pferde sind wahre Beobachtungskünstler im Vergleich zu uns“, sagt die Pferdepsychologin lachend. „Sie haben ein Langzeitgedächtnis, das nie vergisst. Außerdem nehmen sie uns Menschen über ihre Sinnesorgane wahr, erspüren uns und unsere Verfassung also.“ Pferde können sich die kleinsten Reize einprägen, zum Beispiel die Mimik in unserem Gesicht aufgrund unseres Muskeltonus. Anspannung würden sie über unsere Körpersprache sofort erkennen, ebenso wie Entspannung. Sie können Angst riechen und sehen Unsicherheit auf den ersten Blick alleine daran, dass wir kurz zögern. „Pferdeleute, die nicht jeden Tag andere Pferde arbeiten und nur auf ein Pferd fixiert sind, reagieren zu langsam, sind nicht selbstsicher genug und zu zögerlich“, sagt Daniela Bühler. „Dadurch sind diese Menschen nicht authentisch. Das ist für ein Pferd, das beispielsweise gelernt hat, gegen Hilfen zu gehen, oder ein großes Neugierverhalten zeigt, ein Zeichen dafür, diesem Menschen nicht die Alpha-Position zu überlassen. Ein solcher Mensch ist kein zuverlässiger Anführer.“ Hier macht sich, ähnlich wie in der Studie, der Geschlechterunterschied bemerkbar: Frauen sind oft zu inkonsequent, zu lieb zum Pferd; Männer sind dagegen meist zu streng oder zu ungeduldig. „Die Mischung macht es“, so die Pferdepsychologin. „Die Kunst liegt darin, das Lob oder die Korrektur zeitlich innerhalb weniger Sekunden unmittelbar an die Aktion des Pferdes anzuschließen, damit es optimal lernen kann. Das braucht grundsätzlich Erfahrung. Es kommt dabei ganz auf den Menschen an, wie er es umsetzt: Es ist trainierbar, wenn man sein Verhalten zum Wohle der Pferde ändern möchte.“

Ist Mentaltraining die Lösung?

Damit ich nicht nur gelassen, sondern auch konsequent und selbstsicher im Umgang mit meinem Pferd bin und so als Partner akzeptiert werde, hilft Mentaltraining, weiß Antje Heimsoeth. „Um gut gelaunt und motiviert zum Reiten zu fahren, muss ich mir zunächst einmal bewusst sein, welches Ziel ich beim Training gemeinsam mit meinem Pferd erreichen will“, erklärt sie. „Natürlich kann ich mir ein Ergebnis als Ziel setzen. Viel wichtiger ist es jedoch, dass ich mir Gedanken mache, wie ich dieses Ergebnis überhaupt erst erreiche.“ Sind die Qualität meiner Kommunikation mit dem Pferd und meine eigene Befindlichkeit  geeignet, die gewünschte Leistung abzurufen? Ärger, Wut und Stress beeinflussen die Qualität meines Reitens und wirken sich auch negativ auf die Kommunikation mit dem Pferd aus. „Fokussiere ich mich beim Reiten auf klare, positiv formulierte Ziele und sorge ich im Training für Erfolgserlebnisse, gehe ich auch trotz Ärger und Stress in anderen Lebensbereichen in der Regel motiviert in die Arbeit mit dem Pferd. Freude am Reiten stellt sich ein.“ Um innere Freude am Reiten und Motivation zu entwickeln, ist es wichtig, sich immer wieder die eigenen Stärken bewusst zu machen. Es kann immer wieder vorkommen, dass ich mich über etwas außerhalb des Stalles geärgert habe. Damit mein Pferd davon aber nichts mitbekommt und sich nicht unnötig aufregt, können wir uns verschiedene Techniken zunutze machen. „Übungen aus der Stressbewältigung oder aus dem Mentaltraining ermöglichen eine Entspannung“, so Antje Heimsoeth. „Ein Ruhebild, eine Visualisierung eines schönen Ortes im Kopf, hilft unter anderem dabei, Ärger und Stress abzubauen.“ Stellen Sie sich in solchen Fällen mit allen Sinnen einen schönen Sandstrand vor, richten Sie den Blick hinaus aufs Meer und genießen Sie die Ruhe. Ebenso können Sie sich auch eine blühende Bergwiese oder ein Ritt durch den Wald in der Abenddämmerung vorstellen. In Verbindung mit einer tiefen Bauchatmung lassen sich innere Spannungen sehr gut abbauen. „Wohne ich etwas weiter von meinem Arbeitsplatz entfernt und habe mich beispielsweise auf der Arbeit über etwas geärgert und bin gestresst, kann ich die Autofahrt nutzen, um mich zu entspannen“, erklärt die Mentaltrainerin. „Auch hier ist die tiefe Bauchatmung sehr wichtig. Machen Sie mindestens fünf tiefe Atemzüge und klopfen sich dabei auf die Thymusdrüse.“ Die Thymusdrüse befindet sich circa vier Fingerbreit unterhalb der Halskuhle hinter dem Brustbein in der Mitte des Brustkorbes und hilft, die Stresssituation herunterzufahren. Klopfen Sie etwa eine Minute lang mit den Fingerspitzen sanft auf die entsprechende Stelle und nehmen Sie zusätzlich Ihre Zunge beim Einatmen hinter die Zähne an den Gaumen. Machen Sie dies ruhig mehrmals am Tag; das tut einfach gut und hilft Stress abzubauen. Diese Übung verbessert Ihre Stimmung, trägt zur Entspannung und Lebensfreude bei, reduziert Stress und sorgt für Ausgeglichenheit. Ihr Pferd wird es Ihnen danken, weil Sie den Stress, den Sie tagsüber aufgebaut haben, nicht mit in den Stall nehmen und befreit mit ihm umgehen können. Das stärkt letztendlich nicht nur Ihr eigenes Selbstbewusstsein, sondern vor allem auch das Vertrauen zu Ihrem Pferd; denn gedanklich belastet könnten Sie sich nicht voll und ganz auf es einlassen. Ihr Pferd würde mit Ablehnung reagieren. Daniela Bühler erklärt: „Wenn das Pferdetraining artgerecht und mit positiver Verstärkung verläuft, ist auch das Pferd bereit, sich auf den Ausbilder zu konzentrieren und eine Vertrauensbasis aufzubauen.“ Da Pferde ein Langzeitgedächtnis haben und sich jede Handlung des Menschen gut einprägen, müssen wir verstärkt darauf achten, dass wir unbelastet und gut gelaunt zum Stall fahren. „Mit mentalem Training kann ich einiges verändern“, erklärt Antje Heimsoeth, „allerdings nicht meine eigenePersönlichkeit, sondern vielmehr meinen Umgang mit dem Denken. Unter dem Gesichtspunkt der Gedankenhygiene kann das Verhalten im Umgang mit den Gedanken verändert werden.“ Ersticken Sie aufkommende negative, unerwünschte, grüblerische oder einschränkende Gedanken mit der Technik des Gedankenstopps: Sagen Sie laut „Stopp!“ zu sich selbst, wenn Sie Ihre unerwünschten Gedanken beiseiteschieben möchten. Auch können Sie dazu mit visuellen „Stopp!“-Schildern arbeiten, die Sie in der Hosentasche mit sich tragen. Auch Techniken wie die Atemübungen helfen Ihnen einen positiven Umgang mit Ihren Gedanken zu haben, Ihre Konzentration wiederherzustellen und die Stress-Spirale bewusst zu unterbrechen. „Indem ich wieder Verantwortung für meine Gedanken übernehme, wird auch meine Eigenverantwortung aktiviert“, so AntjeHeimsoeth. „Wir können zwar nicht nicht denken, aber Einfluss auf die Gedanken in unserem Kopf nehmen.“ So können Sie auch Ihre Mimik verändern und Ihrem Pferd zeigen, dass Sie sich trotz allem Stress auf die gemeinsame Zeit freuen und ihm mit einem Lächeln begegnen.

Gegenseitiges Vertrauen

Haben wir Menschen also erst einmal erkannt, dass wir mit mentalem Training an uns selbst arbeiten und uns auf diese Weise positiv ins Langzeitgedächtnis unserer Pferde einprägen können, schenken sie uns im Gegenzug ihr Vertrauen. „Nicht das Pferd ist schlecht“, sagt Daniela Bühler. „Der Mensch sucht oft einfach direkt die Schuld beim Pferd. Dabei ist es der Mensch, dem es manchmal einfach an Einfühlungsvermögen fehlt, der dann aber vom Pferd genau dieses erwartet.“ Damit wird man aber keinem Pferd gerecht. Versuchen Sie daher immer direkt, wenn Sie sich gestresst oder verärgert fühlen, sich mithilfe des mentalen Trainings emotional auf Ihr Pferd vorzubereiten. „Es gibt im Leben auch schwierige Situationen, in denen es einfach nicht passt, in den Sattel zu steigen“, so Antje Heimsoeth. „Niemand sollte sich zum Reiten zwingen. Stellen Sie das Pferd in solchen Momenten lieber auf eine Koppel oder arbeiten vom Boden aus mit ihm.“ Äußerlich ruhig zu sein, wenn wir innerlich aufgewühlt sind, würde nämlich nicht funktionieren. Natürlich können wir langsam auf die Pferde zugehen statt schnell und hektisch und auch beim Putzen aufpassen, dass wir ruhige Bewegungen machen. Aber trotzdem würden sie direkt über unsere Atmung unsere eigene Aufregung spüren und darauf reagieren, indem sie zappeln oder selbst unruhig werden. Dass Freibeuter und Edda Kristin wiehernd begrüßt haben, liegt also vor allem daran, dass sie ihr vertrauen können und das auch wissen. Kristin ist ihnen immer positiv begegnet, lächelt sie stets an und lässt ihre Sorgen genau da, wo sie hingehören: nicht bei den Pferden. Deshalb vertrauen die beiden ihr und freuen sich jeden Tag aufs Neue, sie zu sehen. Denn ohne Vertrauen kann keine Beziehung funktionieren – nicht die von Mensch zu Mensch, aber vor allem nicht die zwischen Mensch und Pferd.