Auch das agilste Pferd kommt irgendwann in die Jahre. Und was früher noch Unruhe war, ist heute einer zufriedenen Gelassenheit gewichen, die das Zusammenleben mit einem alten Pferd so angenehm macht. Man kennt sich und weiß sich einzuschätzen. Marius Schneider ist Meister der Akademischen Reitkunst und hat schon viele ältere Pferde trainiert. Er berichtet, welche seine Lieblingsübungen sind und was sie bewirken
Text: Lara Wassermann; Fotos: privat

Beim alten Pferd ist wie bei allen anderen Lebewesen der Körper in die Jahre gekommen: Ein Knacken hier, ein Wehwehchen da, die Muskulatur ist auch nicht mehr so ausgeprägt wie noch vor ein paar Jahren. Das heißt aber nicht, dass ein in die Jahre gekommenes Pferd nicht mehr trainiert werden sollte: „Es ist wichtig, dass ein altes Pferd in Bewegung bleibt, damit es körperlich und mental fit bleibt“, sagt Marius Schneider, während er mit einem seiner Pferde ein paar Lockerungsübungen macht. Ab wann man von einem „alten“ Pferd sprechen kann, hängt auch von der Rasse des Pferdes ab, so Marius Schneider: „Ich habe teilweise Reitschüler mit einem 15-jährigen Pferd, die meinen, dass ihr Pferd alt sei. Das ist natürlich nicht der Fall, sondern ist bei vielen das beste Alter, in dem sie das Gelernte immer abrufen können.“ Ein großes Warmblut ist mit 20 schon im Rentenalter, ein kleines Pony wohl eher mit 30. Wenn sie ins Rentenalter kommen, ist das Exterieur nicht mehr so gut bemuskelt, der Stoffwechsel funktioniert nicht mehr so gut. Die Pferde müssen einfach etwas sensibler behandelt, jedoch nicht „weggestellt“ werden: „Für ein altes Pferd ist es auch ein psychisches Problem, wenn es nicht mehr genutzt wird und ein großer Unterschied zu seinem bisherigen Alltag besteht“, sagt der Experte.

Wie beginnt man die Arbeit?

Wichtig ist zu erkennen, dass das Pferd häufig nicht mehr so kann, wie man es gerne möchte. Vor dem Reiten sollte die Muskulatur erst mit Bodenarbeit aufgewärmt werden. Dabei sollte man sich die Frage stellen, wie viel Grundaktivität das Pferd an diesem Tag mitbringt. Wer sein Pferd kennt, wird schnell merken, ob es einen guten Tag hat oder doch lieber nur ein bisschen Schritt gehen möchte, statt zu arbeiten. Marius Schneider: „Alte Pferde werden schnell steif.
Damit dies nicht passiert, sind die Bodenarbeit und die Vorbereitung aufs Aufsitzen sehr wichtig.“ Doch was für eine Bodenarbeit bietet sich an? Zwar können alte Pferde noch Neues lernen, jedoch fällt es ihnen leichter, wenn vorgeprägte Bewegungsmuster und Übungen abgefragt werden, da sie länger brauchen, um sich Neues zu merken.
Seitengänge sind eine hervorragende Möglichkeit, um das Pferd geschmeidig zu machen und aufzuwärmen: „Traversale, Schulterherein und alle weiteren Seiten-gänge gehören zu meinen Lieblings-übungen für den Oldie. Perfekt fürs Warm-up geeignet und auch vom Boden aus bedienbar!“, so Schneider, der das Handwerk des Reitens von der Pike auf gelernt hat und schon mit 15 seine erste Lizenz als Betreuer im Reitsport erwarb. Auch Übungen in Trab und Galopp sind gut geeignet, damit das Pferd seine Muskulatur aufbaut und dem Altern entgegenwirkt. Um ein Pferd in Trab und Galopp vom Boden aus zu arbeiten, sollte dieses ruhig und versammelt zu führen sein. Schneider fügt hinzu: „Die meisten Seitengänge sind für alte Pferde geeignet. Hat das Pferd jedoch gesundheitliche Probleme wie Arthrose, sollte vorher mit dem Arzt abgeklärt werden, ob das Pferd die verschiedenen Übungen noch ausführen darf.“ Bevor man aufsteigt, hat man sein Pferd dann schon in Bewegung erlebt und kann einschätzen, was man an diesem Tag mit ihm trainieren kann.
Auch Kreislaufprobleme lassen sich vom Boden aus sehr gut beobachten. Ist das Pferd nicht ganz sicher auf den Beinen? Schwitzt es mehr als sonst? Scheint es träge und teilnahmslos? Dann werden Sie sicherlich nicht aufsteigen, sondern stattdessen eine andere Beschäftigung wählen. Vom Boden aus kann auch eine leichte Dehnungshaltung oder Versammlung vom Pferd gefordert werden. Lassen Sie Ihr Pferd sich aufrichten, dann wieder strecken. Das Aufwölben des Rückens und eine gute Bemuskelung können dem altersbedingten Senkrücken und dem muskulären Zusammenfallen entgegenwirken. Bringen Sie Abwechslung ins Programm!
Viele Pferde haben im Alter eine schlechtere Balance. Dies erkennt man daran, dass sie sich leicht seitlich und auch längs bewegen lassen und leicht ins Schwanken kommen: „Gerade aus diesem Grund ist es wichtig, dass der Reiter eines alten Pferdes ein gutes Gleichgewichtsgefühl hat. Einen Anfänger oder jemand, der damit Probleme hat, auf ein altes Pferd zu setzen, ist keine gute Idee.“

Hohe Lektion

Viele Reiter glauben, dass das Pferd im Alter keine hohen Lektionen mehr laufen sollte. Marius Schneider ist da anderer Meinung: „Wenn das Pferd körperlich fit ist und die Handlungen kontrolliert sind, ist das Reiten von höheren Dressurübungen völlig okay. Das Pferd auf einem Level zu halten, ohne es dabei zu stressen, ist gut.“ Wichtig ist, dass auch das alte Pferd bei der Arbeit warm wird, also die Muskeln anfangen zu arbeiten. Eine zu starke Beanspruchung sollte jedoch vermieden werden: „Da das Pferd im Alter sowieso nicht mehr so stark schwitzen sollte, braucht man es auch nicht zu scheren. Mit der Umstellung auf das geschorene Fell kommen viele Pferde im Alter nicht mehr gut klar.“
Um auch im Alter noch gut mitzuarbeiten, muss gerade ein „Rentner“ im Alltag zur Ruhe kommen können. Eine komfortable Ruhezone mit Schlafplatz in der Nacht und ein Füttern, ohne dass ihm das Futter streitig gemacht werden könnte, ist wichtig: „In Herden kommen ältere Pferde häufig nicht zur Ruhe, und das sorgt für zu wenig Schlaf. Dieser ist jedoch sehr wichtig, gerade für ein alterndes Tier.“

Übungen im Stand

Auch im Stehen sind lösende Übungen möglich. Besonders gut eignet sich für die Bodenarbeit ein Kappzaum, da dieser die empfindlichen Punkte am Kopf des Pferdes entlastet: „Bei alten Pferden sind häufig die Kopfgelenke ein Problem, weshalb sich ein Kappzaum sehr gut eignet. Außerdem kann er ohne Gebiss verwendet werden, was dem Pferd entgegenkommt, da die Zähne ihnen häufig Probleme machen“, erklärt Marius Schneider. Biegemaßnahmen, wie das Lösen im Stehen, geht mit jedem Equipment, welches einen echten stellenden Effekt hat: „Man kann das Pferd vom Boden aus mit den meisten Kopfstücken arbeiten.“
Der Experte arbeitet seine alten Pferde noch regelmäßig und begleitet sie bis zum Schluss: „Man muss die Ziele kleiner setzen, jedoch kann man ihnen trotzdem neue Dinge beibringen. Und das ist eine tolle Erfahrung für Mensch und Tier.“